So, werde ich halt ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern und euch ein paar Illusionen über Journalisten nehmen
Ich habe früher - für eine andere Tageszeitung als die, bei der ich jetzt arbeite - ebenfalls PC-Spiele-Rezensionen verfasst. Vor fünf, sechs Jahren sind nämlich die Tageszeitungen dahintergekommen, dass das Thema von Interesse für einen Teil ihre Leser sein könnte. Seither ist es üblich, dass ein Mal pro Woche - in der Regel in den Wochenendbeilagen - eine Seite über PC-Spiele erscheint.
Weil Planposten in Redaktionen ein knappes Gut sind und die Beilagenredaktion auf der Prioritätenliste des Herausgebers ziemlich weit unten angesiedelt ist, wird für diese wöchentliche Spieleseite natürlich kein eigener Redakteur angestellt. Ganz abgesehen davon würden sich seine schuftenden Kollegen auch fragen, was der gute Mann eigentlich nach Montag Mittag so treibt
Also wird in eine der zahlreichen Redaktionskonferenzen ganz harmlos vom Chefredakteur gefragt, ob sich jemand mit PC-Spielen beschäftigt. Der erste, der diese Frage bejaht, weil er zu hause manchmal auch ganz gerne zockt, hat sich freiwillig für einen neuen Job gemeldet. Selbstverständlich ohne Extra-Gage und genauso selbstverständlich zusätzlich zu seiner bisherigen Arbeit. Warum sollte man den guten Mann auch noch etwas dafür bezahlen, schließlich darf er jede Woche die schönen, buntverpackten Spiele gratis mit heim nehmen, um sie dann in seiner Freizeit ausgiebig zu testen und fundierte, objektive Berichte darüber zu verfassen
Weil die menschliche Natur so ist, wie sie nun Mal ist, ergibt sich nach spätestens drei Monaten segensreicher Testertätigkeit folgendes Bild:
Wir haben auf der einen Seite
Einen inzwischen von den meisten Rezensionsspielen höchst gelangweilten Redakteur, der nicht einsieht, warum er den Mist überhaupt noch auf seinem PC installieren soll, wenn er genauso gut die den Spielen immer beiliegenden und, da von den Marketingabteilungen der Publisher verfasst, natürlich hochgradig objektiven Presseinformationen abmalen kann - außerdem eigenen sich originalverpackte Spiele hervorragend als Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für den Freundeskreis, während aufgerissenen Verpackungen auf eine gewisse unangebrachte Spargesinnung des Schenkenden schließen ließen. Kurz, der Mann pfeift längst drauf, zumal sich bei ihm im trauten Heim das Zeug stapelt und die Anschaffung eines zusätzlichen Kellers nötig macht.
Rafft sich der Gute denn doch ein Mal dazu auf, ein Spiel tatsächlich anzuspielen, bevor er eine Kritik darüber absondert, sucht er sich einen Punkt heraus, an dem er herummeckern kann - immerhin macht es sich nicht gut, wenn immer nur Lobeshymnen in der Zeitung stehen. Sobald dieser Kritikpunkt entdeckt ist, wird das Game sofort von der Festplatte gekratzt, blinder Eifer schadet bekanntlich nur.
Wir haben auf der anderen Seite
Eine treue Leserschaft, die unbedingt ein Mal pro Woche die geistigen Ergüsse des Spielerezensenten begierig in sich aufsaugft und sofort das Abo kündigen würde, erschiene die PC-Seite plötzlich nicht mehr. Schön wärs. In Wirklichkeit hat sich die Beilagenredaktion daran gewöhnt, dass es einen Deppen gibt, der ihnen eine Seite ihrer wöchentlichen Arbeit abnimmt und weiß sich darin unterstützt vom Chefredakteuer, der das Ganze überhaupt erst erfunden hat. Weder Chef noch Beilagenredaktion haben übrigens den geringsten Dunst von dem, was auf dieser Seite geschrieben wird und es kümmert sie auch gar nicht, da so der Platz gefüllt wird und überhaupt irgendetwas dran sein muss, sonst würden ja nicht immer mehr Marketingabteilungen von Spielepublishern - was immer das auch sein mag - kostenlose Rezensionsexemplare schicken. Und schließlich muss sich der die Kritiken schreibende Kollege nicht beschweren, wer bekommt schon jede Woche die neusten Spiele geschenkt? Na also.
So entstehen Spielerezensionen meine Freunde, so und nicht anders. Und wer glaubt, dass es bei den Profis von den Spiele-Magazinen wesentlich anders läuft, der glaubt auch an den Klapperstorch oder an das Erscheinen des Anno-1503-Multiplayermodus